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Begrüßungsrede von Prof. Dr. Ulrich Gottstein
IPPNW-Frankfurt, ehemaliger IPPNW-Vize-Präsident Europa
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde, Kollegen und Gäste,
Wir Mitglieder der Frankfurter IPPNW-Regionalgruppe freuen uns besonders, dass Sie aus nah und fern zu uns gekommen sind, um als Ärzte und Wissenschaftler über die Gefahren der radioaktiven Strahlung aus Kernenergieanlagen oder Nuklearwaffen zu informieren und zu diskutieren. Wir begrüßen es auch sehr, dass wir IPPNW-Ärzte gemeinsam mit der Evangelischen Kirche diese Veranstaltung durchführen, denn es gibt wohl keine Religion, die nicht bestrebt ist, Gottes Schöpfung, also Erde, Menschen, Tiere und Pflanzen zu bewahren.
Ich werde mein Leben lang drei Tage nicht vergessen: Es war der 6. August 1945. Ich war bereits seit 11 Monaten Kriegsgefangener in England. Da meldete der Lagerlautsprecher, dass eine Riesenbombe die Stadt Hiroshima getroffen habe, und drei Tage später die Stadt Nagasaki. Nun sei der Krieg auch in Japan zu Ende. Erst viele Monate später erfuhren wir, dass es sich um 2 Nuklearbomben gehandelt hatte, und noch viel später, dass innerhalb von Sekunden etwa 200.000 Menschen getötet wurden, und weitere Hunderttausend körperlich und seelisch schwer verwundet wurden. Aber was die Menschheit noch viel später erfuhr war, dass der Abwurf der Atombomben dazu gedient hatte, noch wenige Tage vor der bereits beschlossenen japanischen Kapitulation die sowjetische Führung zu beeindrucken, und außerdem nach Ende des „Experiments“ die Auswertung der atomaren Zerstörungskräfte vornehmen zu können.
Hiroshima und Nagasaki waren der Beginn des nuklearen Wettrüstens und 1981 der Anlass zur Gründung der IPPNW international und auch in Deutschland. Unsere japanischen Kollegen wird es interessieren und freuen, dass sich die Stadt Frankfurt der internationalen Bewegung der „MAYORS FOR PEACE“ angeschlossen hat, und dass wir Frankfurter Ärzte vor wenigen Wochen eine Botschaft des Weltpräsidenten und Oberbürgermeisters von Hiroshima, des Herrn MATSUI KAZUMI verlesen haben und die Fahne der Bürgermeister für den Frieden offiziell im Rathaus übergeben haben. Von nun an wird die Fahne an jedem 6. August gehisst werden.
Der 2. nie zu vergessende Tag war der 26. April 1986, als wir von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl erfuhren. Vier Wochen später fand der IPPNW-Weltkongress in Köln unter dem Motto „Maintain Life on Earth“ statt, da wussten wir bereits, dass in Tschernobyl das Gegenteil von Lebenserhaltung auf Erden passiert war. Die Politiker und Techniker versuchten damals und tun es vielfach auch heute noch, den Menschen einzureden, dass die Gefahren durch die radioaktive Strahlung sehr gering und zu beherrschen seien. Das aber ist die Unwahrheit. Darüber werden Sie auf diesem Kongress ja ausführlich reden.
Der 3. nie zu vergessende Tag ist der 11. März 2011, der „Fukushima Tag“. Wir hatten gerade in Frankfurt unseren deutschen IPPNW Jahreskongress, als die Katastrophe gemeldet wurde. Die Japanischen Physiker und Techniker hatten immer versichert, dass den Atomkraftwerken weder durch Erdbeben, noch durch Sturmfluten Schaden zugefügt werden könne. Nun aber zeigte sich diese falsche Einschätzung. Natürlich waren auch wir geschockt. Wir unterbrachen unseren Kongress und gingen auf einen zentralen Platz der Stadt. Dort riefen wir in lauten Sprechchören und mit dem Megaphon „gestern Tschernobyl, heute Fukushima, morgen Biblis! Abschalten sofort!“
Nun wachten endlich die Politiker auf und erkannten, dass man bei potentiell unbeherrschbaren Katastrophen keine Risiken eingehen darf Die meisten Atomkraftwerke in Deutschland wurden abgeschaltet. Jetzt ist es unsere Aufgabe, dafür zu werben, dass auch weltweit keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden. Kontinuierlich muss für den Aufbau alternativer und unschädlicher Energiegewinnung geforscht und gearbeitet werden! Die fortdauernde radioaktive Verseuchung der Erde und des Meeres um Fukushima sollte doch Lehre genug sein!
JEFF PATTERSON VERSTORBEN.
Verehrte und liebe Freunde, ich habe jetzt noch die traurige Aufgabe, den ganz unerwarteten Tod unseres US-amerikanischen Kollegen und Freundes JEFF PATTERSON mitzuteilen, der am 24. Januar im Alter von erst 67 Jahren durch einen akuten Herzinfarkt aus dem Leben und seinem Schaffen gerissen wurde. Jeff war ein unermüdlicher Aufklärer über die Gefahren radioaktiver Strahlung aus Nuklearanlagen und Nuklearwaffen. Gleich nach dem Hiroshima-Weltkongress 2012 unternahm er zusammen mit Dörte Siedentopf Vortragsreisen in 5 japanische Städte. Die Anti-AKW-Bewegung wollte er unterstützen. Noch zwei Tage vor seinem Tod korrespondierte er mit Alex Rosen über die Problematik „Niedrigstrahlung“.
Seit 30 Jahren kannte ich Jeff, den ich zuerst auf dem IPPNW-Weltkongress 1982 in Cambridge/England kennen gelernt hatte, und dann jährlich auf unseren IPPNW-Konferenzen und Kongressen traf. Unvergesslich aber blieb für Jeff und für mich unsere gemeinsame Reise 1992 mit Prof.Bernard Lown/USA, Prof.Sergej Kolesnikoff/USSR, Prof. Shizuteru Usui/Hiroshima und Dr.Ole Schenstroem/Schweden nach Moskau, Kiew, Minsk und Alma Ata. In Gesprächen mit Ministern und anderen wichtigen Politikern warben wir für den Abtransport aller Nuklearwaffen aus der Ukraine, Belaruss und Kazachstan zur Entsorgung nach Russland. Bei diesen schwierigen Gesprächen erlebte ich die Klugheit und das diplomatische Geschick von Jeff, mit dem er unsere Gesprächspartner zu überzeugen vermochte.
„Atomwaffen abschaffen, die Risiken der Kernkraftwerke, Gesundheitsschäden durch radioaktive Strahlung, sowie Dialog statt Gewalt“ blieben für Jeff als Präsident der US-PSR und als IPPNW-International Councillor seine wichtigsten Arbeitsgebiete. Daneben war Jeff ein mitfühlender Arzt und prof.emeritus für Allgemeinmedizin, der auch Medikamenten Hilfstransporte zu russischen Krankenhäusern in den achtziger Jahren, und nach dem irakischen Kerbela während des Embargos 1991 organisierte.
Jeff und ich waren in vielem einer Meinung. So schrieb er mir am 28. April 2002: „Ich habe Deine Schreiben (an das IPPNW-Präsidium und die internationalen Delegierten) mit großem Interesse verfolgt…..Ich glaube, dass wir fortfahren müssen, die ( US-Affiliate) PSR zur Ablehnung eines jeglichen Krieges zu bewegen. Ich füge Dir ein Editorial bei, das ich kürzlich geschrieben habe“. In dem Editorial mit dem Titel „Gewaltsame Macht“ stellte Jeff die Frage: „wohin wird der kontinuierliche Gebrauch von gewaltsamer Macht uns
ins 21. Jahrhundert führen?“, und an anderer Stelle schrieb Jeff „Gewalt erzeugt Gewalt... und zur Verhütung von Atomkrieg ist es nötig, Krieg zu verhüten“. Wie Recht hatte Jeff!
„I have followed your messages (to the IPPNW-board and Council) with intense interest…. I believe that we must continue to move PSR toward the opposition to war in general. I am enclosing an editorial that I wrote recently“. In dem Editorial mit dem Titel „Violent Force“ schrieb Jeff „Where is the continued use of violent force in international relations likely to lead us in the 21st century“, … „violence begets violence.. and for the prevention of nuclear war, prevention of war is necessary“.
In diesen Tagen einer kriegsähnlichen Atmosphäre in der Ukraine und zwischen den USA und Russland würde Jeff sehr besorgt, enttäuscht und traurig sein, so wie wir alle es auch sind. Er würde die Politiker und Bevölkerung auf beiden Seiten zu Dialog und Weisheit drängen, anstatt gewaltsame Macht zu demonstrieren. So wollen auch wir handeln und drängen!
Mit Jeffs Tod haben wir einen treuen und wertvollen Mitkämpfer für den Frieden, für Mitmenschlichkeit, für die Abschaffung aller Atomwaffen und die Stilllegung der Atomkraftwerke verloren.
Wir wollen eine Minute des stillen Gedenkens einlegen. Danke.